Die Kleinode des Alltags

Heute Morgen, obwohl es schon 25 Grad warm war, begab ich mich auf einen der Sportplätze in der Nähe meines Wohnorts, um eine Freeletics Trainingseinheit zu absolvieren. Als ich inmitten des Trainings war, fuhren ein älterer Mann und ein rotblond haariges Mädchen mit Sommersprossen und Brille auf ihren Fahrrädern der 100m-Bahn entlang auf mich zu. Beide, das Mädchen zuerst, begrüssten mich beim Vorbeifahren. Während ich mit verschiedenen Übungen weitermachte, radelten die beiden auf dem Asphaltplatz nebenan umher.

Als ich im Übungsteil mit den Liegestützsprüngen war, fragte mich der Mann, der – so wie sich herausstellte – der Grossvater des Mädchens war, welche Fitnessübungen ich hier mache. Wir kamen dann ins Gespräch, er sei im Turnverein, habe früher Nationalturnen gemacht, etc. Das Mädchen, Robin hiess sie, involvierte sich immer mehr ins Gespräch. Bald werde sie 10-jährig, erzählte sie, und erwähnte, dass in einer Woche die 4. Klasse beginne. Samstags sei sie immer bei den Grosseltern und berichtete begeistert von verschiedenen Erlebnissen.

Das Mädchen war sehr zugewandt und präsent. Der Grossvater erzählte dann, dass sie in eine Spezialschule gehe, da sie eine leichte geistige Behinderung habe, als ich meinerseits schilderte, dass ich in der Psychiatrie arbeite. Sie neckte dann ihren Grossvater immer wieder, bzw. sie neckten sich gegenseitig; sie meinte dann mal, dass er «balla balla» sei oder so, und er rief ihr etwas ähnliches zu. Ich entgegnete dann, das wir doch alle ein bisschen balla balla seien. Bei einigen Übungen machten beide sogar mit, was sehr lustig war.

Sie wollte dann unbedingt bei meinen weiteren Übungen zuschauen, setzte sich neben mich, was mich überhaupt nicht störte. Sie lud mich dann, für irgendwann mal, sogar zu ihren Grosseltern ein. Der Grossvater machte immer wieder mal den Versuch, mit ihr weiter zu gehen, wahrscheinlich auch, weil er dachte, es könnte mich stören; doch sie wollte unbedingt bleiben.

Die Zeit für meine Übung ratterte voran, doch das kümmerte mich nicht, weil mich diese Begegnung viel mehr interessierte und ich sie als Geschenk annahm. Wir redeten dann noch ein bisschen. Sie verabschiedeten sich schliesslich, ich sagte zu ihr, dass es mich gefreut hat, sie kennen zu lernen und wünschte ihr einen guten Start in die 4. Klasse. Sie fragte dann noch, ob ich am Sonntag auch auf dem Sportplatz sei. Manchmal, morgen jedoch sehr wahrscheinlich nicht, da ich rennen gehen werde.

Sie fuhren dann mit ihren Fahrrädern wieder in die andere Richtung an der 100m-Bahn entlang. Ich machte noch die 100 Sprünge, die auf dem Programm standen, dehnte aus und lief noch von der Begegnung beschwingt nachhause. Auf dem Nachhauseweg versuchte ich noch die Schafe zu streicheln, die auf einer benachbarten Wiese grasten. Sie waren heute nicht anhänglich oder ich zu ungeduldig, so dass ich dann weiterging.

Es beeindruckt mich immer wieder, wie gerade geistig behinderte Menschen auf eine intensive, herzliche und liebevolle Art begegnen können. Für mich sind geistig behinderte Menschen heimliche Weise, von denen wir, oder zumindest ich, viel lernen können. Gerade in letzter Zeit haderte ich mit meinem Single-Dasein und war dadurch blind geworden gegenüber den Begegnungen und Chancen des Alltags.

Ich bin richtig dankbar für diese Alltagsbegegnung von gerade eben!