Wenn ich ein Buch lese, dann markiere ich Stellen, die mich besonders ansprechen, auch in Dichtungen. Unter diesen kennzeichne ich die wichtigsten mit einem Stern. Das Buch «Die Liebe atmen lassen» von Wilhelm Schmid ist reichhaltig an Gedanken, hat einen manchmal etwas verborgenen roten Faden, so dass es mir nun nach dem Lesen des Buches schwer fällt, die Essenz des Buches, so wie ich sie verstand, auf einen Punkt zu bringen, ausser dass jeder selbst für sich die Liebe definieren und sich überleben muss, wie er sie in seinem Leben umsetzt. Ich dachte mir, ich gehe die Stellen nochmals durch, die ich mit einem Stern hervorgehoben habe und äussere meine Gedanken dazu, weshalb mir eben gerade diese Stelle besonders bedeutsam ist.
Die «schönste Nebensache der Welt» ist in Wahrheit die Hauptsache. Wo es vordergründig um Anderes geht, blitzt hintergründig stets «das Eine» auf, selbst in scheinbar liebesfernen Disziplinen wie Politik und Ökonomie, auch unter Bedingungen des Krieges und inmitten des Elends (S. 41)
Die Liebe, bzw. das Lieben als Sinn des Lebens, so wie es schon an tausend Stellen gesagt worden ist, so auch durch Hermann Hesse: «Den Sinn erhält das Leben einzig durch die Liebe. Das heisst: je mehr wir zu lieben und uns hinzugeben fähig sind, desto sinnvoller wird unser Leben.» (Lektüre für Minuten, Suhrkamp, 1. Auflage, 1971, Zitat 525 S. 202). Auch steht da auf Seite 201 (Hermann Hesse, a.a.O.): «Man tut das meiste im Leben, auch wenn man andere Gründe vorschützt, der Frauen wegen.»
Liebe ist dann nicht mehr nur ein Gefühl, sondern eine bewusste Entscheidung für die Zuwendung und Zuneigung zu etwas oder jemanden; auch auf dieser Grundlage wird die Entfaltung der Sorge möglich, durch die die Liebe kenntlich wird. (S. 54)
Die Liebe ist eine Haltung zum Leben, eine aktive Haltung der Sorge für sich selbst, die anderen und die Natur, um überall dort Wachstum, Entwicklung zu unterstützen, auszulösen. Die Liebe, die nur vom Gefühl oder von der Leidenschaft abhängig gemacht wird, was laut Schmid durchaus ebenso ein Weg sein kann, bleibt wankelmütig. Eben der bewusste Entscheid und die Erneuerung und Überprüfung desselben von Zeit zu Zeit verbürgt für eine Konstanz, eine Dauer, die schliesslich Basis einer vertrauensvollen Beziehung sein kann (siehe auch S. 306). «Die Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du» (Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Lamberd Schneider, 8. Auflage, 1997, S. 19).
Auf Seite 56 wird die Idee formuliert, dass wir Menschen dazu neigen, die Liebe an ein konkretes Gegenüber zu binden. Diese Person ist dann das allerwichtigste, oft das einzig wichtige. Es gibt aber auch eine Liebe, die sich durch ein transpersonales Kontinuum, so Schmid, hindurchzieht, dem sich der einzelne anvertrauen kann. Sowohl für den, der keine Person hat, an die er seine Liebe binden kann, als auch für den, der eben eine solche Person hat, ja für letzteren vielleicht noch viel mehr, ist das ein wichtiger Anknüpfungspunkt.
Im Laufe der Zeit wird mir zudem klarer, dass ich ohne eigene Zuwendung zu Anderen auch nicht auf eine Zuwendung Anderer zu mir hoffen kann. (S. 79)
Durch diesen Satz könnte natürlich auch noch der komplett Eigennützige einen Sinn im selber Lieben sehen. Dennoch bietet diese Einsicht des selber tätig Werdens gerade für denjenigen, der an der Liebe verzweifelt, bzw. am nicht geliebt Werden leidet, eine neue Perspektive der Liebe, in der er nicht ohnmächtig Leidender, Opfer ist, sondern in der er sich für die Liebe aktiv engagieren kann. Auch schon Erich Fromm (Kunst des Liebens, Manesse Verlag, 2000) äussert “Die meisten Menschen sehen im Problem der Liebe in erster Line als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können” (S. 9).
Da ist eine Stelle (siehe S. 181), die auch der Musse eine Lanze bricht: Neben der Zeit für das aktive Handeln und Nachdenken, braucht es auch eine Zeit des nicht zielorientierten Seins und Denkens, welches gerade dadurch sehr schöpferisch und kreativ sein kann.
Die Wichtigkeit von Erfahrung: Durch Erfahrung lernen wir, auch durch das Scheitern (ist eine Wertung), vor allem dann, wenn wir auch darüber nachdenken und unsere Schlüsse daraus ziehen (siehe S. 209, 213).
Annahme, die Welt, der andere sei ein Wunder und nie ganz erschlossen, immer neu zu entdecken (S. 318). Dadurch reisst der Gesprächsfaden nie ab.
Bei sich selbst sein, bei sich selbst immer wieder ankommen (S. 339), weil man nur so wieder auf den anderen zugehen kann. Das habe ich auch schon bei Martin Buber gelesen (a.a.O.) und auch bei Peter Bieri (Das Handwerk der Freiheit, Fischer Taschenbuch Verlag, 11. Auflage, 2013) gelesen.
«Ausgerechnet beim Versuch, jede Verletzung auszuschliessen, gerät die kleinste Wunde schon zur grossen Katastrophe.» (S. 366). So ist es ja auch mit dem Kritisieren. Wenn wir uns daran gewöhnt haben, gegenseitig Feedback zu geben, dann ist das nicht mehr bedrohlich, sondern stärkt die Beziehung ungemein, weil erfahrbar wird, dass die Beziehung über Irritationen hinaus bestehen bleibt und sich durch diese zusätzliche Offenheit gar vertieft. Im Gegensatz dazu steht die Vermeidung von kritischer Rückmeldung. Bei mir ist damit immer auch ein unausgesprochener «Deal» mit der anderen Person verknüpft: Ich kritisiere dich nicht, also kritisierst du mich nicht. Und wehe, der andere hält sich nicht daran! Dann bin ich nicht nur gekränkt, sondern erlebe auch einen Schaden an der Beziehung.
Perspektivenwechsel, d.h. die Welt aus dem Blickwinkel des Gegenübers zu sehen, zu erleben, und daraus resultierende Empathie (S. 375). Auch schon Irvin Yalom hat bei Sternstunde Philosophie die Wichtigkeit von Empathie in menschlichen Beziehungen hervorgehoben.
Schliesslich stellt Schmid die These auf, dass es Menschen gibt, die ein Bedürfnis nach der Nichterfüllung der Liebe haben (S. 380); dies, weil durch die Nicht-Aktualisierung der Liebesbeziehung der zu grossen Teilen entzaubernde Alltag vermieden wird. Für jemanden, der unglücklich verliebt ist, kann eine solche Aussage durchaus zynisch klingen. Ich glaube meinerseits auch nicht, dass es ein solches Bedürfnis gibt. Vielmehr ist es ein Bedürfnis nach Bindung und Liebe, welches durch einen einseitigen Fokus auf das Lieben, bzw. Nichtlieben der anderen Person und damit verbundene starke Gefühle (zunächst angenehme, dann unangenehme) die eigene Liebesfähigkeit und Liebestätigkeit vergisst, die nun zwar nicht diesem, aber vielen anderen Menschen geschenkt werden kann.