Selbstakzeptanz als Anwort auf Selbstzweifel und verdeckten Narzissmus

Heute (27.05.2011) war wieder Weiterbildung und ich hatte intensiven Kontakt mit anderen Menschen, stellte auch Fragen, auch kritische Fragen; ich war dabei ruhig, bzw. nicht von der lähmenden sozialen Interaktionsangst geplagt, oder von abwesendem Selbstvertrauen, von der Idee, dass ich noch viel Lesen und viel Erfolge haben muss, bis ich den anderen Menschen selbstsicher gegenübertreten kann.

Das war heute von mir wie abgefallen gewesen. Ich schlich nicht herum, schaute den anderen in die Augen, konnte mich wirklich auf sie einlassen, weil ich nicht so mit mir selbst beschäftigt war. Das Gesprächsthema kam auch mal auf dieses Thema und andere haben ganz ähnliche Erfahrungen gemacht, haben auch erlebt, dass es mal «klick» machen kann, man das aber wieder verliert. Eine selbstbewusst wirkende Mitstudentin war plötzlich kein Übermensch mehr, sie war wieder in Reichweite, idealisierte sie nicht so, sie gefiel mir nach wie vor, ich sah aber auch Aspekte, die mir weniger gefielen.

Der Mechanismus ist Selbstakzeptanz. Dabei war für mich diesmal (und ich denke auch in anderen Situationen, in denen ich mich plötzlich nicht mehr befangen fühlte) die folgende Tatsache äusserst wichtig: Wenn ich anderen Menschen begegne, dann möchte ich mir keine Gedanken darüber machen, was sie von mir halten mögen, generell oder wenn ich dies oder jenes sage, sondern ich möchte mich ganz darauf konzentrieren, was ich von der anderen Person wahrnehme, zeige Interesse, möchte sagen, was ich denke, was ich fühle, was mir wichtig ist, möchte Zuneigung, etc. zeigen. Ich handle, schaue dabei aber nicht noch zusätzlich mir selbst aus den Augen der anderen Person zu und frage mich, wie dies oder jenes ankommen würde, was sie nun von mir halten würde. Die andere Person denkt sowieso etwas über mich. Aber sehr wahrscheinlich etwas ganz anderes. Vielleicht sagt sie mir etwas darüber, was sie von mir hält. Dann kann ich darauf reagieren. Sonst geht es um meine Zuwendung gegenüber der anderen Person, um einen wirklichen Dialog. Wenn ich so präsent bin, kann ich (und das weiss ich aus Erfahrung) mich auf die Situation einlassen, in ihr handeln, so gut ich es kann, mit den besten Absichten, Werten. Es ist aber auch ok, wenn ich Fehler mache (Ich muss nicht perfekt sein. Niemand ist perfekt). Alle machen Fehler. Wir sind Menschen, gerade unsere Unzulänglichkeiten sind doch so liebenswert. Das lieben wir doch auch an anderen! Wir sind vollkommen in unserer Unvollkommenheit. Ich bin so ganz nahe an der Gegenwart, in ihr, bin präsent, fühle mich lebendig, auch wenn es unangenehme Gefühle sind, bin im Leben.

Wenn ich den anderen Menschen nur in der Hinsicht wahrnehme, was sie von mir halten oder denken könnten, generell, oder als Reaktion auf das, was ich gerade sagte, tue, dann verschwende ich da viele Ressourcen, die mir fehlen, die wirkliche Situation, die Wirklichkeit wahrzunehmen und auf diese zu antworten. Ich tendiere dann aber auch dazu, negative Gedanken in der anderen Person zu sehen. Das paradoxe ist, dass ich ja gerade eine negative Reaktion der anderen Person vermeiden möchte, in dem ich eben mir vorstelle, was die andere Person denken könnte, und rufe dadurch noch mehr negative Gedanken und Erwartungen hervor, schränke meinen Blick auch auf solche Signale ein, die vielleicht völlig bedeutungslos sind. Dadurch steigert sich die Angst und die Selbstzentrierung. Noch grösser wird die Angst, weil ich die anderen Menschen nicht kontrollieren kann, schon gar nicht durch vermeintliches Gedankenlesen. Infolge habe ich keine Ressourcen, auf das Gegenüber wirklich einzugehen. Aufgrund des negativen Gedankenkreises, steigere ich mich regelmässig in so ein paranoides Gefühl hinein.

Und schliesslich, und das war für mich die Einsicht, die für mich am schwierigsten annehmbar war: Es geht da nur um mich – der verdeckte Narzissmus des selbstunsicheren Menschen. Weil ich so Angst habe, verletzt zu werden, beschäftige ich mich nur noch mit mir selbst, nehme die andere Person nur noch bezogen auf mich selbst wahr, sehe in ihr jemand, der mich möglicherweise verletzen könnte. Das Interesse an der anderen Person ist reduziert auf das, was sie von mir halten könnte. Weil dieses Gedankenspiel, mich noch unsicherer macht, versuche ich noch zu kompensieren, vielleicht durch coole Geschichten über mich selbst, was ich alles kann, was ich geleistet habe, durch hochgestochenes Reden oder was auch immer. Ein verdeckter Narzissmus entwickelt sich, nur weil ich Verletzung, Leben vermeiden möchte.

Das paradoxe ist, dass eben diese Beschäftigung mit mir selbst in einem Moment der Begegnung, mich noch mehr verunsichert und die Begegnung verunmöglicht oder sehr einschränkt. Unangenehme Gefühle, Angst, sind allgegenwärtig. Die Wahrscheinlichkeit verletzt zu werden ist nicht kleiner, eher gar grösser, weil ich schon ganz klein bin, habe dazu noch die ganze Zeit Angst, und lebe irgendwie am Leben vorbei. Auch beim Musizieren bin ich oft mit den Gedanken bei den (unfreiwilligen) Zuhörern, bei den Nachbarn oder meinen Mitbewohnern, die sich nerven könnten, die dies oder jenes denken könnten. Das soll mir ein Alarmzeichen sein.

Auszuschalten, was andere von mir denken könnten, führt paradoxerweise zu mehr Präsenz und Zuwendung und wirklichem Interesse an der anderen Person. Wenn ich präsent bin, ganz bei mir bin und ganz beim anderen bin, dann habe ich plötzlich auch Selbstvertrauen, weil ich die Situation ganz tief wahrnehme und so auch auf alles irgendwie reagieren kann (und auch einen Fehler machen kann, was auch völlig ok ist). Es ergibt sich wie von selbst, ich vergesse mich selbst und werde zum „Werkzeug“ für meine Werte, für die Liebe am anderen Menschen, an mir selbst. Wie ich selbst beurteilt werde, ist nicht mehr relevant. Ich vergesse mich selbst. Ich mache das, was ich für richtig halte und konzentriere mich ganz darauf.

Ach, es ist so eine Erleichterung, nicht perfekt sein zu müssen, etwas nicht wissen zu dürfen, Fehler machen zu dürfen, nicht nach etwas Streben zu müssen, um ins Leben einzutauchen.

Obwohl es etwas gutes ist, etwas zu leisten, Sport zu treiben, sich schön zu kleiden. Aber wenn man dies macht, um das Selbstvertrauen zu erhöhen sagt man sich selbst damit doch: «So wie du bist, bist du nicht gut.» «Du musst noch dies und jenes machen und erst dann bist du gut.» Wenn das meine Werte sind, nach denen ich leben möchte, dann mache ich es nicht, um Selbstvertrauen zu entwickeln, sondern ich ziehe mich schön an, weil mir das wichtig ist, weil mir das Spass macht, ich mache Sport, weil ich es gern mache, weil es mir wichtig ist, wichtig an sich und eben nicht als Vermittler von Selbstvertrauen.

Die Basis von wirklichem Selbstvertrauen ist eben Selbstakzeptanz, so wie ich bin, wie ich JETZT bin. Ich verwirkliche dann Dinge, aber nicht, um Akzeptanz von anderen zu erwirken, sei es nun imaginiert oder real, sondern weil ich mich aufgrund meiner Werte in diese Richtung bewegen möchte. Man kann sich also in die gleiche Richtung bewegen, wobei es je nach Motivation ganz unterschiedlich sein kann (Selbstverwirklichung vs. Kompensation eines niedrigen Selbstvertrauens, Selbstwertes), was dann mit ganz unterschiedlichen Gefühlen einhergehen kann (Lebendigkeit vs. Minderwertigkeitsgefühle oder Grössengefühle).