Wenn die Lösung das Problem ist

Gerade habe ich den Vortrag geschaut, den Watzlawick 1987 gehalten hat: «Wenn die Lösung das Problem ist.» Diese Paradoxie trifft auch auf die psychischen Störungen zu, bzw. darin besteht der Mechanismus der psychischen Störungen. Umgekehrt erscheint die Therapie einer psychischen Störung paradox: Wir müssen damit aufhören, das Problem zu lösen.

Das Problem besteht in den Lösungsversuchen selbst und zwar deshalb, weil das vermeintliche Problem nicht lösbar, bzw. gar kein Problem ist. So werden oft unangenehme Emotionen als Problem betrachtet. Die Vermeidung von unangenehmen Emotionen (z.B. durch Alkohol, Vermeidung von sozialen Situation, durch positives Denken) führt unweigerlich zu mehr Schwierigkeiten und unangenehmen Emotionen. Der Weg geht gerade über das Aufgeben dieser Lösungsversuche und dem Akzeptieren der unangenehmen Emotionen als unabänderliche menschliche Bedingung. Wenn wir nicht mehr mit den Emotionen, d.h. mit dem Innenleben kämpfen, ist Energie und Aufmerksamkeit frei für das, was uns wirklich am Herzen liegt.

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Die Angststörung wird dadurch aufrecht erhalten, dass der Stimulus, der die Angst auslöst, vermieden wird. Die Angstbehandlung verlangt gerade vom Patienten, dass er sich dem aussetzt, was bei ihm Angst auslöst.

Bei der depressiven Störung dominieren deprimierte Stimmung, Antriebs- und Freudlosigkeit. Aufgrund dem subjektiv gefühlten Energiemangel und Freudlosigkeit bleibt der depressive Patient im Bett, was ihm gerade von dem abschneidet, was bei ihm Freude auslösen könnte, was ihm mit seinem Sinn in Berührung bringen könnte, was ihn dazu motivieren würde, weiter aktiv zu werden. So beinhaltet die Behandlung der Depression gerade dies, dass der Depressive entgegen der inneren Gefühlslage dazu motiviert werden oder er sich selbst dazu motivieren soll, aktiv zu werden, das zu machen, was ihm wertvoll ist.

Bei den Interaktionsstörungen (Persönlichkeitsstörungen) ist es ganz ähnlich: Z.B. der Narzisst versucht sich als superior darzustellen; und wenn er dafür bewundert wird, freut ihn das vordergründig, macht ihm jedoch gleichzeitig schmerzlich bewusst, dass er nicht wegen seines wahren Wesens bewundert wird, sondern für sein Schauspiel. Gerade dies nährt die von ihm zu vermeiden versuchte Überzeugung, dass er so, wie er eben im innersten Wesen ist, nicht beachtet, geliebt und angenommen werden kann. Bei der Therapie der Persönlichkeitsstörungen geht es folglich darum, das Schauspiel, die Manipulation aufzugeben, sich selbst zu akzeptieren und den Quantensprung zu wagen, sich der Welt so zu zeigen wie er ist, und die durch das Aufgeben der Schauspielerei übrigbleibende Energie in das zu investieren, was ihm wirklich am Herzen liegt.

Ähnlich ist es mit dem positiven Denken: Das positive Denken, bzw. der Versuch desselben, fordert geradezu entgegengesetzte Gedanken heraus. Da sich dadurch die erhofften Erfolge im Verhalten und im Fühlen nicht einstellen, wirft sich der Betroffene vor, sich nicht genug anzustrengen mit dem positiven Denken oder gar, dass er defekt sei und es darum nicht klappt. Paradoxerweise führt gerade das vermehrt in eine depressive Entwicklung. Der Versuch, positiv zu denken, selbst ist das Problem. Die Lösung besteht darin, nicht positiv Denken zu wollen, sondern das Denken anzunehmen, die positiven und negativen Gedanken, und achtsam zu betrachten, um unabhängig davon das zu tun, und dafür ist nun auch mehr Energie frei, was einem am Herzen liegt.

Viele meiner Patienten kommen mit dem Auftrag, dass sie ihr Selbstwertgefühl steigern möchten. Selbstwerterhöhung wird bei Grawe sogar als menschliches Grundbedürfnis bezeichnet (oh shit!). Selbstwert ist ohnehin ein absurdes Konstrukt, da ja jeder Mensch an sich wertvoll ist . Aus diesem Grund nenne ich es auch Selbstwertgefühl, da es um ein Gefühl geht. Problematisch ist, dass viele aus einem niedrigen Selbstwertgefühl ableiten, dass sie als Mensch nicht wertvoll sind (emotionale Beweisführung). Gerade der Fokus auf das Selbstwertgefühl führt zu einer Selbstzentrierung, die die Problematik verschärft. Die Einengung darauf wird durch die Selbsthilfeliteratur noch potenziert (das ist mit Self-Help-Hell gemeint). Die ganze Energie geht in die Steigerung des Selbstwertgefühls (z.B. sich positive Dinge über sich selbst sagen; an seinen Schwächen arbeiten; sich selbstsicher verhalten, etc.). Dass Selbstwert, bzw. das Selbstwertgefühl überhaupt ein Thema ist, ist das eigentliche Problem. Ein wirklich «selbstbewusster» Mensch, kämpft nicht mit seinem Selbstwertgefühl (und damit ist es für ihn auch kein Thema), sondern lenkt seine Energie auf das, was ihm am Herzen liegt, auch wenn dabei aufgrund der biografischen Vorgeschichte ein Minderwertigkeitsgefühl, bzw. ein niedriges Selbstwertgefühl als Nebenprodukt entsteht.

Das Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» von Watzlawick und das Buch «The Happiness Trap» von Russ Harris und damit zusammenhängend die Idee der «Paradoxen Intervention» drücken genau diese Gedanken aus.