Flugangst als Lebensschule

Am 16. Juli 2013 plante ich einen therapeutischen Flug von Zürich nach Düsseldorf, um nach zweimaligem Vermeiden, wieder in ein Flugzeug einzusteigen. Der Flug sollte am 01.08.2013 stattfinden. Die Geschichte der Vorbereitungen ist unten dargestellt. Ich bin dann tatsächlich geflogen! Zum einen bin ich sehr stolz darauf, zum anderen bin ich auch sehr erleichtert; dies vor allem auch im Hinblick auf die noch anstehenden Flüge dieses Jahr.

Jeder hat seine Ängste, seine Achillesferse oder seine Herausforderungen. Bei mir gehört dazu die Flugphobie, der ich nun wieder einmal ein Schnippchen geschlagen habe. Während der Vorbereitung habe ich einiges gelernt. Aufgrund der Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen habe ich gelernt, besser darauf zu achten, wie es mir gerade geht, ob ich angespannt bin oder nicht. Aufgrund der gedanklichen Einengung auf den bevorstehenden Flug machte ich mir zudem weniger Gedanken darüber, wie ich und mein Verhalten bei anderen ankommen könnte. Ich handelte mehr aus mir heraus, aus meinen Überzeugungen, ohne dem Zwang, es anderen recht machen zu müssen. Es ist dabei nichts schlimmes passiert. Ganz im Gegenteil: Es fühlte sich gut an, nicht mit der Selbstwertregulation beschäftigt zu sein, sondern mit dem Bewältigen der Situation selbst.

Inhalt

Der Countdown

16. Juli 2013 (T – 16 Tage)

Am 01.08.2013, also in 16 Tagen, plane ich einen Flug, einen therapeutischen Flug von Zürich nach Düsseldorf und wieder zurück am gleichen Tag. In Düsseldorf, wo sich sich eine der grössten japanischen «Kolonien» in Europa befindet, wartet auf mich feines japanisches Essen, roher Fisch und alles was dazugehört. Das ist mein erster Flug nach dem letzten Flug von Washington nach Zürich vor knapp zwei Jahren, nachdem ich mich, obschon es ein Flug ohne spezielle Vorkommnisse war, dafür entschied, nicht mehr zu fliegen. Ich kämpfte während den 8-9 Stunden mit Panik und negativen Gedanken, mit der Vorstellung, meine Kinder nie mehr wieder zu sehen …

In etwa den letzten fünfzehn Jahren hat sich bei mir zunehmend eine Flugangst entwickelt, eine vielschichtige Phobie. Flugangst hat je nach Betroffenem mit Höhenangst, Platzangst, Angst vor der Angst (z.B. Angst vor Turbulenzen und der dabei entstehenden Panik), Angst vor Kontrollverlust, Angst vor einem Absturz, etc. zu tun. Bei mir steht Angst vor der Angst und dies im Zusammenhang mit Turbulenzen und Schwierigkeiten, die Kontrolle abzugeben und zu vertrauen, im Vordergrund.

Viele denken, dass es gerade als Verhaltenstherapeut eine Schande sei, irrationale Ängste zu haben. «Arzt, heil’ dich selbst», heisst es doch. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen begegnen mir diesbezüglich mit viel Verständnis … und Hand aufs Herz, auch Therapeuten sind Menschen und sitzen im gleichen Boot, haben die gleichen Schwierigkeiten wie andere Menschen. Das ist auch meine Haltung bei der Arbeit mit Patienten und Hilfesuchenden: Ich kann eine Methode anbieten, ein menschliches Gegenüber, das aber letztlich genauso den existenziellen Fragen gegenübersteht.

Ich habe viel Literatur über Flugangst gelesen und kenne auch die therapeutischen Methoden. Diese werde ich in den nächsten Tagen oder zur gegebenen Zeit auch auf dieser Seite veröffentlichen. Entscheidend ist jedoch das Üben und das steht in den nächsten Tagen im Zentrum. Täglich mache ich folgende drei Übungen zwei mal (2 x 30 Minuten):

  • Atemübung (5 Minuten): Einatmen (21 – 22 – 23) Anhalten (21 – 22 – 23) Ausatmen (21 – 22 – 23) Innehalten (21 – 22 – 23: das ist wegen dem Einatemreflex am schwierigsten).
  • Progressive Muskel Relaxation (PMR) nach Jacobson. Da mache ich eine kürzere Version (20 min).
  • Achtsamkeitsübung (5 min): Fixieren Sie einen Punkt, dann benennen Sie fünf Dinge, die Sie sehen, dann fünf Dinge, die Sie hören, dann fünf Dinge, die Sie mit Ihrem Körper berühren. Dann vier Dinge, dann drei, dann zwei, dann ein und wieder rückwärts, so lange Sie wollen.

Ich möchte mir für die Turbulenzen eine Imaginationsübung erstellen, z.B. mit dem Schiff über die raue See zu gleiten.

Zudem plane ich noch in sensu Exposition mit Turbulenzen und nehme da entsprechende Youtube-Videos zur Hilfe. Dazu morgen mehr.

17. Juli 2013 (T – 15 Tage)

Gerade habe ich den Flug von Zürich nach Düsseldorf am 01.08.2013 gebucht.

Da ich es mir nicht anders einrichten konnte, habe ich während der Autofahrt zur Arbeit und auf dem Rückweg mit der Atemübung experimentiert. Anfänglich fand ich es nicht angenehm, hatte das Gefühl nicht genug Sauerstoff zu erhalten, fühlte mich eher noch angespannter. Mit der Zeit wurde der Atemprozess automatischer und bei jedem Ausatmen vergrösserte sich die Entspannung. Damit war auch ein Gefühl verbunden, Kontrolle zu haben.

Gedanken sind während einer Angstsituation schlecht beeinflussbar. Das Atmen als Verhalten liegt jedoch in unserem Einflussbereich, auch bei Ängsten und auch dann, wenn Gedanken auftauchen wie «das nützt doch nichts — du wirst ja gar noch angespannter». Gerade durch meine heutige Erfahrung wurde mir erneut bewusst, dass es wichtig ist, genügend lange diese Übung durchzuführen. Auch ich fand es zunächst unangenehm, doch dann stellte sich die Entspannung ein. Der Atemprozess hat Einfluss auf den Herzschlag, auf die Stresshormone und den aktuellen Gefühlszustand. Es ist entscheidend, diese Erfahrung vor dem Flug immer wieder zu machen, um Vertrauen in diese Übung und in sich selbst zu gewinnen.

20. Juli 2013 (T – 12 Tage)

Heute habe ich nun das erste mal eine Kurzversion der Progressiven Muskelrelaxation (PMR) durchgeführt. Kann hier heruntergeladen werden. Diese Übung dauert rund 11 Minuten und kann so gut mehrmals in den Tag eingebaut werden. Regelmässig zu üben ist entscheidend. Gedanken wie «das bringt doch nichts» oder «jetzt habe ich keine Zeit» einfach vorbeiziehen lassen und die Übung trotzdem machen, am besten fix terminieren.

Zudem habe ich vor allem beim Autofahren auch mit der Atemübung weitergemacht. Es braucht immer einen Moment, um reinzukommen. Ich habe festgestellt, dass dabei auftretende Gedanken ans Fliegen zuversichtlicher sind und teilweise gar die Freude und Vorfreude aufkommt, die ich vor dem Entwickeln meiner Flugangst gekannt hatte. In diesem Jahr stehen noch ein Überseeflug und einer nach Asien auf dem Programm, Destinationen, die mir viel bedeuten und auf die ich mich freue, aktuell etwas ungetrübter, da ich zuversichtlich bin, künftig entspannter fliegen zu können.

21. Juli 2013 (T – 11 Tage)

Trotz den Entspannungsübungen ist zu erwarten, dass aufgrund klassischer Konditionierung während dem Flug Angstgefühle, negative Gedanken und Katastrophenphantasien auftreten. Ich nehme mir vor, nicht mit dieser Reaktion zu kämpfen, sondern sie aufsteigen und wieder abflauen zu lassen, während ich mit der Atemübung oder mit PMR weiterfahre. Es kann sinnvoll sein, sich zusätzlich zur Entspannung auch Sätze vorzubereiten, die für einen passen, um jene Prozesse zu unterstützen, die schwierig sind wie z.B. bei mir das Abgeben der Kontrolle und Vertrauen. Diese Sätze können dann wie ein Mantra wiederholt werden. Das ist eine sehr effektive Methode, die bei mir auch schon funktioniert hat, die jedoch bei mir wieder in Vergessenheit geraten ist.

Meine Sätze und Mantra fürs Fliegen:

«Ich will fliegen. Ich schaffe das.»

«Die Piloten, die Crew und die Mechaniker geben ihr bestes, um uns sicher ans Ziel zu bringen. Ich gebe die Kontrolle in ihre Hände.»

«Die Sicherheit des Fluges ist völlig unabhängig von meinen Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen.» (emotionale Beweisführung und Wunschdenken im negativen Sinne).

«Turbulenzen sind normal und ungefährlich. Es ist wie wenn ein Bus über eine holprige Strasse fährt. Das Flugzeug bewegt sich sehr schnell, so dass wir bald aus der unruhigen Luft raus sind.»

Im übrigen: Der beste gratis Flugangstkurs auf dem Web (in Englisch) ist der von Captain Stacy Chance auf www.fearofflyinghelp.com. Auch das Buch «Wings of discovery» finde ich sehr hilfreich.

Ein exzellentes deutschsprachiges Selbsthilfebuch für Flugangst ist «Nie mehr Flugangst» von Karin Bonner, erschienen 2007 im Patmos-Verlag. Ein meines Erachtens sehr gutes amerikanisches Selbsthilfebuch ist «Flying without fear», second edition, von Duane Brown, erschienen 2009 bei New Harbinger Publications, Inc.

25. Juli 2013 (T – 7 Tage)

Aufgrund der Arbeit war ich am Abend zu müde, noch Entspannungsübungen zu machen. Dennoch habe ich immer wieder während dem Tag eine Atemübung gemacht. Es ist interessant, wir mir jetzt viel mehr auffällt, dass ich angespannt bin und dann fast automatisch mit achtsamem tiefem Atmen beginne.

Für den Flug habe ich mir ein einseitiges Dokument erstellt, in welchem ich meine Strategien festhalte. Dieses Blatt nehme ich dann mit. Zusätzlich zu den Entspannungsübungen werde ich noch eine Hypnose-Übung machen und den Ablauf des Fluges inklusive der Reise an den Flughafen und dem tollen Gefühl nach der Ankunft imaginativ durchgehen…

28. Juli 2013 (T – 4 Tage)

Seit gestern beginne ich, bezüglich dem Flug am Donnerstag nervös zu werden. Meine Aufmerksamkeit engt sich wieder auf den Gedanken ein, dass – egal wie sicher fliegen ist — mir ja niemand garantieren kann, dass gerade auf dem Flug, den ich nehme, nichts passiert. Es melden sich meine hellseherischen Fähigkeiten 🙂 (magisches Denken im negativen Sinne).

Die Hypnosetherapie scheint bei Flugangst sehr wirksam zu sein. So habe ich mir auch einen entsprechenden Audio-Kurs (von André Loibl) heruntergeladen und den ersten Teil davon angehört. Auch die Tipps auf dieser Seite, die eben diesen Audio-Kurs empfiehlt, fassen das wichtigste zusammen. Zudem habe ich mich noch auf LogBook 24/7 The Fearful Flyers’ network registriert. Vielleicht werde ich dort auch noch etwas schreiben.

Gestern habe ich nochmals den ersten Teil vom Hypnose-Audiokurs angehört, dann auch PMR gemacht. Da ich nach der Gartenarbeit sehr müde war, schlief ich dabei fast ein.

Das am wenigsten leichte wird das Einsteigen sein …

29. Juli 2013 (T – 3 Tage)

Gestern Nacht habe ich ziemlich schlecht geschlafen, da ich immerzu an den anstehenden Flug denken musste. Gerade der Gedanke, dass etwas schief gehen würde, kreiste mir immer wieder durch den Kopf – ein Adrenalinschub folgte dem anderen. Schlafen war nicht möglich.

Am darauffolgenden Morgen kam mir folgende Einsicht: Ich bin schon in viele Flüge eingestiegen mit dem Gefühl und dem Gedanken, dass etwas schief gehen würde. Es ging aber immer alles gut. D.h. aufgrund meiner persönlich erhobenen Datenlage kann ich folgern, dass meine Gedanken und meine Gefühle den Flug weder beeinflussen noch einen prädiktiven Wert haben bezüglich dem Flugverlauf. Diese Einsicht finde ich ziemlich beruhigend …

30. Juli 2013 (T – 2 Tage)

In zwei Tagen ist es soweit. Ich habe einen Betrag auf LogBook 24/7 The Fearful Flyers’ network geschrieben und bekam unter anderem von Captain Keith eine Antwort, die folgendermassen lautet:

Yes, I have an idea to make things easier, not this time, but every time after this one.

Measure the stress and anxiety and worry and nervousness and all the agony that you’ll go through and say to yourself

“Shall I take this flight, or shall I go through this again next time?”

I think you need to take this step now. You’ve only got to do this first flight once.

Keith

Im ersten Moment klingt die Antwort etwas hart, doch so etwas braucht es in der Entscheidungssituation, der ich vor dem Einsteigen begegnen werde. Grundsätzlich möchte ich ja fliegen und wenn ich es diesmal nicht tue, wird es das nächste mal genauso schwierig sein, vielleicht gar schwieriger. Ich habe sehr viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt – mehr geht in meiner aktuellen Situation nicht. Zudem habe ich seit Sonntag das Nervenflattern. Ich nehme auch einen Flug, den ich aus familiären oder anderen Gründen gar nicht nehmen müsste, doch ich nehme ihn, um eben meiner Angst ins Gesicht zu schauen. Es kommt auch jemand mit, dem ich vertraue und der mich in dieser Entscheidungssituation unterstützt. Die Bedingungen sind also ideal, bzw. besser können sie nicht werden. Air Berlin ist unfallfrei, dann soll auch das Wetter gut sein. Wenn ich überhaupt fliegen möchte – und das ist der Fall -, dann ist der erste Schritt immer gleich schwer …

31. Juli 2013 (T – 1 Tag)

Morgen ist der grosse Tag. Heute gab es auf Station einiges zu tun, auch eine Krisensituation, so dass ich zum einen abgelenkt war, zum anderen war ich auch sehr angespannt. Es ist alles für den morgigen Tag vorbereitet. Boarding-Pass habe ich schon, Bus- und Bahnticket. Ich bin sehr zuversichtlich, freue mich auch auf den Flug, auf Düsseldorf, wobei sich immer wieder die Nervosität bemerkbar macht. Ich habe mich so gut als möglich vorbereitet und bin bereit, morgen den Schritt zu machen. Ich bin schon viel geflogen und weiss, was auf mich zukommt …

Flugtag (01. August 2013)

Nach meinem Flug habe ich folgenden Kommentar auf LogBook 24/7 The Fearful Flyers’ network gepostet:

Flug Zürich - Düsseldorf am 01.08.2013, Boeing 737-700, Bodensee

A picturesque view of the Lake Constance photographed through the window of a Boeing 737-700 on my first flight in two years … I am very excited that I finally stepped on a plane again! … but I know that more work is to be done …

I figured that the fear of flying is very individual and even for the same individual, different things may work at different times. What worked for me on this flight:

  • A mindfulness exercise that helps stay in the present (instead of dwelling on the “what ifs”): Enumerate 5 things you see, you hear, you contact/touch (repetition of the same item is ok), do this with 4 things, then 3, then 2, then 1, then 2 … continue with that … loosing count is ok, just continue until you get bored or so relaxed that you would rather do something else. I was surprised about the power of this technique.
  • Deep breathing that I regularly practiced prior to the flight in order to gain confidence in that it really works. I used that in combination with the mindfulness exercise.
  • The flight was relatively smooth. Nevertheless, I had mantras ready for handling turbulence such as “turbulence is a normal part of flying and harmless.” In turbulence I would have continued with the mindfulness exercise and belly breaths.
  • I revealed my fear of flying to other people and received a lot of encouragement (including on this site) and understanding that I actively recalled when boarding and on the flight. Thank you all!
  • I created a one-page document on which I pulled together all helpful techniques and sentences in order to read them as needed.
  • In my desperation, I also bought and listen to an audio hypnotherapy program. However, I am not sure if that made it easier. Put simply, during the program, positive imagery and emotions were linked to holding tightly the thumb of the right hand with the left hand. I tried to support this process of classical conditioning with holding my right thumb whenever I felt excitement. I held my thumb a few times during the flight and it probably helped a bit recall feelings of strength.
  • During the night before the flight I woke up at 2am and began to panic because of the upcoming flight. Unable to calm myself down, as a last resort, I took a long acting benzodiazepine and was able to sleep until 6am when I planned to get up. As a cognitive behavioral therapist, I know that the use of anxiolytic drugs can spoil the effect of exposure therapy. However, getting enough sleep ensured a good starting position. Retrospectively, I think it was a good decision.

My next planned flight is in September from Zurich to London and back a view days later. Just for practicing and enjoying, I plan to take a flight from Zurich to Berlin with my wife and the two kids before the flight to London if ward workload allows for an extended weekend…